Kadaver – Hotspot der Biodiversität?

Den Kreislauf des Lebens noch besser zu erforschen, ist das Ziel eines etwas ungewöhnlichen Projektes, das Tierkadaver genauer unter die Lupe nimmt. Neben anderen Schutzgebieten machen die Nationalparke Jasmund und Vorpommersche Boddenlandschaft seit diesem Jahr als Partner mit.

Seeadler frisst Aas © Mario Müller
Nicht nur große Tiere wie der Seeadler, sondern auch viele kleine, wie Käfer, Zweiflügler und Pilzarten leben von der toten tierischen Biomasse.

Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) startete in Trägerschaft der Universität Würzburg ein Förderprojekt, das die Rolle von Wildtierkadavern in der Landschaft untersucht. In verschiedenen Großlandschaften fast aller deutschen Nationalparke – vom Gebirge über die Mittelgebirge bis hin zu den Küstenlebensräumen – wird standardisiert untersucht, wie Aas in verschiedenen Ökosystemen von Wirbeltieren, Insekten, Bakterien und Pilzen genutzt wird. Damit soll das Aufrechterhalten natürlicher Prozesse in Nationalparken um ein wichtiges Thema erweitert werden. Denn der Tod gehört schließlich zur Natur. Abgestorbenes Holz und unzählige darauf angewiesene Pilz- und Käferarten sind den Besuchern der Nationalparke ein gängiger Begriff. Doch welche Bedeutung besitzt ein Tierkadaver?

Bei Verwesungsprozessen an einem toten Tier kann über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, wie viel Leben ein Kadaver beherbergt und hervorbringt. Verglichen mit der Zersetzung von abgestorbenen Bäumen, offenbart sich der Kreislauf des Lebens am Aas, wie in einem Zeitraffer. Wird Totholz über Jahrzehnte hinweg abgebaut, dauert es bei einem toten Tier oft nur wenige Wochen. Viele verschiedene Arten – vom imposanten Adler über Marder und Aaskäfer bis hin zu Bakterien und Pilzen, die mit bloßem Auge nicht mehr erkennbar sind – haben sich im Laufe der Evolution auf diesen Energie-Impuls perfekt angepasst. Das Zusammenspiel all dieser Aasverwerter ist bisher noch wenig erforscht. Kürzlich wurde nun das Projekt „Belassen von Wildtierkadavern in der Landschaft – Erprobung am Beispiel der Nationalparke“ ins Leben gerufen, um mehr über den ökologisch bedeutsamen Lebensraum Aas herauszufinden.
 

Erste Untersuchungen im Nationalpark Bayerischer Wald zeigten 17 Wirbeltier-, 92 Käfer-, 97 Zweiflügler-, 1820 Bakterien- und 3726 Pilzarten an der toten tierischen Biomasse. Ein Wildtierkadaver ist somit ein wahrer Hotspot der Biodiversität. Obwohl der Mehrwert für die Artenvielfalt bekannt ist, sieht selbst das Management in Nationalparken bislang kaum vor, verunfallte oder gestrandete Wildtiere im Schutzgebiet zu belassen, um natürliche Prozesse zu fördern. Das soll sich nun mit dem mehrjährigen BfN-Projekt ändern.
 

Über einen Zeitraum von drei Jahren werden jährlich acht natürlich verendete oder bei Wildunfällen tödlich verunglückte und nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignete Kadaver im Schutzgebiet belassen. An ihnen wird wissenschaftlich untersucht, welche Arten am Kadaver zu finden sind. Am Ende sollen Handlungsempfehlungen für das Schutzgebiets-Management stehen.
 

Mit Spannung wird erwartet, welche Erkenntnisse sich aus den Untersuchungen an den Kadavern für die Nationalparke Jasmund und Vorpommersche Boddenlandschaft und die anderen Nationalparke ergeben.