Die Watvögel im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft

Kleine Kraftpakete

Watvögel werden auch Limikolen genannt. Den Kiebitz erkennt eigentlich jeder. Auch Austernfischer, Säbelschnäbler und Großer Brachvogel sind gut auseinanderzuhalten. Bei allen anderen wird es dann schon schwieriger. Mehrere Watvogelarten sehen sich bis auf wenige Merkmale sehr ähnlich.

Der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft ist der wichtigste Brut- und Rastplatz für Watvögel an der Ostsee.

Limikolen im Pulk. Ein Sandregenpfeifer und ein Sichelstrandläufer haben sich einem Trupp Alpenstrandläufer angeschlossen. © Klaus Haase
Limikolen im Pulk. Ein Sandregenpfeifer und ein Sichelstrandläufer haben sich einem Trupp Alpenstrandläufer angeschlossen.

Zwischenstopp Ostseeküste

Für den Zug der Watvögel spielt die südliche Ostseeküste eine besondere Rolle. Der größte Teil der Altvögel fliegt nach der Brutzeit aus den arktischen Brutgebieten direkt zu den reichen Nahrungsgebieten der Nordseewatten. Die erst wenige Monate alten Jungvögel aber sind darauf angewiesen, Zwischenraststationen zu finden. Sie sind noch schwächer und können bei den Non-Stop-Flügen der Altvögel nicht mithalten. Dies zeigt sich in dem hohen Jungvogelanteil in den Limikolenscharen der Ostseeküste: Etwa zwei Drittel (gegenüber nur ca. 5 % an der Nordsee) sind Jungvögel. Innerhalb eines Schlupfjahrganges kann der Jungvogel-Rastbestand an der deutschen Ostseeküste 10 bis 20 % betragen.

Wichtiges Windwatt-Mosaik

Der Limikolenzug beginnt schon im Juni mit den Altvögeln, die ihre Brut aufgeben mussten oder mit Arten, die hier mausern, z. B. Säbelschnäbler (Recurvirostra avosetta). Die Monate mit der größten Anzahl ziehender Watvögel sind August, September und Oktober. In dieser Zeit ziehen beispielsweise Alpenstrandläufer (Calidris alpina), Goldregenpfeifer (Pluvialis apricaria) und Kiebitz (Vanellus vanellus) durch. Weiterhin kommen auf dem Zug Sandregenpfeifer (Charadrius hiaticula), Kiebitzregenpfeifer (Pluvialis squatarola), Grünschenkel (Tringa nebularia), Dunkler Wasserläufer (Tringa erythropus) sowie weitere Arten in international bedeutsamen Anzahlen vor. Der Frühjahrszug in die Brutgebiete findet von März bis Ende Mai statt. Er wird wesentlich rascher durchgeführt und ist daher unauffälliger und nicht mit so hohen Individuenzahlen im Nationalpark verbunden.
Entscheidend für brütende und ziehende Watvögel sind die Windwattbereiche als Nahrungsgebiete. Bedeutsam ist das Vorhandensein eines Mosaiks aus verschieden hoch gelegenen Windwattbereichen, so dass die Vögel bei unterschiedlichen Wasserständen immer ein nutzbares Windwattareal finden können. Die drei größten Windwattflächen im Nationalpark haben verschiedene Höhen und bilden daher solch ein Mosaik: Bock 10 cm über NN, Gellen/Vierendehlgrund ca. NN und Bessin etwas unter NN.

Brüten auf der Kirr

Die Insel Kirr ist der wichtigste Watvogelbrutplatz im Nationalpark und landesweit bedeutsam. Sie ist das größte zusammenhängende Salzwieseneareal im Nationalpark und ihr Wasserhaushalt wurde vom Menschen nur wenig verändert. Hier sind besonders die hohen Brutpaarzahlen von Uferschnepfe (Limosa limosa) und Rotschenkel (Tringa totanus) bemerkenswert, außerdem die kleineren Vorkommen von Sandregenpfeifer (Charadrius hiaticula) und Säbelschnäbler (Recurvirostra avosetta). Auch andere Inseln weisen hohe Watvogel-Brutbestände auf.

Säbelschnäbler


Dieser markante Vogel ist leicht zu erkennen. Wenn er seinem gebogenen Schnabel durch den Schlick hin und her schwenkt erbeutet er dabei allerhand Kleintiere.

Sanderlinge im Flachwasser © Lutz Storm
Sanderlinge im Flachwasser

Sanderlinge

Sie laufen in kleinen Gruppen am Spühlsaum entlang, rastlos tippeln sie hin und her, picken nach Würmern oder kleinen Krebsen, fliegen auf und landen gleich daruf wieder und trippeln erneut hin und her. Sanderlinge brüten in der hocharktischen Tundra von Nord-Kanada, Grönland und Sibirien und machen bei uns während ihres Zuges in die Winterquartiere Rast, um Fettreserven anzulegen. Immerhin werden sie dabei rund 5.000 km non-stop zurücklegen. Um diese Reise zu überstehen, müssen sie jede Menge fressen. Dafür sind die ungestörten Strände des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft hervorragend geeignet.      

Austernfischer © Jürgen Reich
Austernfischer

Austernfischer
 

Der Austernfischer bewohnt sandige oder schlammige Lebensräume.  Durch gezielte Bejagungen und Störungen an den Brutplätzen kam es seit Mitte des 19. Jahrhunderts zu deutlichen Bestandsrückgängen. Erst seit etwa 1920 hat sich die Zahl der Austernfischer auf Grund von eingeleiteten Schutzmaßnahmen langsam erhöht.

Heute ist das Wattenmeer von Esbjerg in Dänemark bis Den Helder in Holland mit rund 500.000 überwinternden Austernfischern und 40.000 Brutpaaren der mit Abstand bedeutendste Lebensraum dieses Watvogels. In Deutschland wurde der Bestand 2013 bundesweit mit 25.000 - 33.000 Brutpaaren angegeben. In Mecklenburg-Vorpommern leben lediglich 130 - 160 Brutpaare (Rote Liste MV 2014); die meisten Brutgebiete liegen dabei in den Vogelschutzgebieten des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft. Besonders die Inseln Barther Oie und Kirr werden von den Vögeln zur Aufzucht ihrer Jungen genutzt.
 

Im Gegensatz zu vielen anderen Vogelarten sind Austernfischer recht lange mit einem Partner zusammen (bis zu 6 Jahre). Die Paare nisten in einer lockeren Kolonie nicht weit voneinander entfernt an sandigen, steinigen und schlammigen Küsten, am liebsten in unmittelbarer Ufernähe. Auch kurzgrasige Weiden oder Ackerflächen in Wassernähe werden angenommen. Die Brutreviere mit „Seeblick“ sind im Allgemeinen stark umkämpft und Vögel, die die weiter landeinwärts gelegenen Brutplätze nutzen, müssen wohl oder übel das gesamte Jungenfutter „einfliegen“. Während der Balz ist ein ohrenbetäubendes Trillern charakteristisch.


Das Nest ist eine nur mit Muschelschalen oder Steinchen umlegte Mulde, in die das Weibchen im Mai oder Juni in der Regel 3 sandgelbe, unregelmäßig schwarz gefleckte Eier legt. Diese werden von beiden Altvögeln 26 - 28 Tage ausgebrütet. Die Küken verlassen meist sofort das Nest und drücken sich bei Gefahr an den Boden und verschmelzen, dank ihres braungrauen Flaums, mit ihrer Umgebung.
 

Die festen, spitzen und scharfkantigen Schnäbel der Austernfischer eignen sich gut zum gezielten Greifen, Festhalten und Zerkleinern der Beute. Die Vögel orientieren sich bei der Nahrungssuche mittels Tastsinn und können dabei auch zwischen lebenden Muscheln und leeren Muschelschalen unterscheiden. Während kleine Muscheln meist im Ganzen verschluckt werden, müssen die Vögel die größeren öffnen, um an das Fleisch zu gelangen. Die verschiedenen Techniken werden von den Elterntieren erlernt und durch Übung verfeinert. Dabei erziehen die Altvögel ihre Nachkommen zu regelrechten Spezialisten, denn ein und derselbe Austernfischer verwendet immer nur eine Öffnungstechnik, die er an die Jungen weitergibt.

Knutt am Strand © Lutz Storm
Knutt am Strand

Knutt


Knutts brüten in der arktischen Tundra und überwintern in Afrika. Sie besuchen uns zweimal im Jahr auf ihren jährlichen Langstreckenflügen. Bei uns zeigen sich die kleinen, kurzbeinigen Vögel recht unauffällig im Schlichtkleid, so nennt man das Gefieder, das Vögel außerhalb der Brutzeit tragen. Sie sind am Strand ständig unterwegs und suchen nach Weichtieren und kleinen Krebsen, um für den Weiterflug stark genug zu sein. Der Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft ist ein sehr wichtiger Trittstein für diese Vögel. Knutts brüten nicht in Deutschland.